In der Unternehmertum-Bubble propagieren Influencer ein Hustle-Culture-Narrativ, das konventionelle Arbeit schlechtredet und Unternehmertum glorifiziert. Ihre Botschaft lautet etwa, dass es „keine höhere Berufung gibt, als die eigene Firma zu gründen“, und man dafür alles opfern müsse. Ein gängiges Motto ist beispielsweise „9-to-5 Jobs sind für Verlierer“, was suggeriert, dass ein normales Angestelltenverhältnis gleichbedeutend mit Mittelmaß oder Versagen sei. Diese Creator präsentieren Unternehmertum als einzigen Weg zum Erfolg und Glück – wer nicht aus dem Hamsterrad ausbricht, gilt als jemand, der seine Träume aufgibt. Oft werden vermeintliche Erfolgsgeschichten gezeigt: junge Menschen, die durch Krypto, Dropshipping oder Coaching in kurzer Zeit reich und „frei“ geworden seien. Solche Videos inszenieren einen Lifestyle voller Luxusautos, Uhren und Reisen, um das Publikum anzulocken. Kritiker sprechen hier von einer Art digitalem Prosperity-Gospel, einer Heilslehre des Internet-Zeitalters, die unbedingten Erfolg verspricht. Die Realität (z.B. harte Arbeit, Rückschläge oder Privilegien) wird dabei ausgeblendet.
Um Nutzer in diese Denkweise zu ziehen, setzen Hustle-Influencer gezielt psychologische Tricks ein. Repetitive Suggestion spielt eine große Rolle: Wer regelmäßig Videos sieht, in denen der Grind verherrlicht wird, nimmt diese Botschaften irgendwann als normal und wahr an. Dieser Illusory-Truth-Effekt der Wiederholung ist gut erforscht – wiederholte Aussagen wirken vertrauter und damit glaubwürdiger. So wird beispielsweise das Narrativ „Angestellte verschwenden ihr Potenzial“ immer wieder eingehämmert, bis es bei vielen Zuschauern verfängt. Dazu kommt soziale Bewährtheit (Social Proof): Wenn ein TikTok-Coach hunderttausende Likes und Follower hat, vermittelt das den Eindruck, seine Thesen müssten richtig sein, weil so viele Menschen zustimmen. Kommentare von begeisterten Anhängern („Du hast mein Leben verändert!“) verstärken diesen Gruppeneffekt. Auch Authority Bias wird genutzt – die Selbstdarstellung als erfolgreicher Unternehmerin (mit teuren Gütern als Statussymbolen) verleiht den Creators Autorität und lässt ihre Ratschläge fundiert erscheinen, selbst wenn oft echte Qualifikationen fehlen. Viele dieser Videos verwenden zudem Emotionen und Fear-of-Missing-Out: Sie erzeugen einerseits Begeisterung und Hoffnung („Du kannst reich werden, wenn du willst!“), schüren aber zugleich unterschwellige Ängste, etwas zu verpassen oder ein „Verlierer“ zu bleiben, wenn man nicht sofort mitzieht. Mit simplen Lösungen werden komplexe Probleme adressiert – etwa der Versprechung, man brauche nur die richtige Gewinner-Mentalität und einen Online-Business-Trick, um finanzielle Freiheit zu erlangen. Diese Übervereinfachung senkt die kritische Reflexion. Bestimmte Creator wenden auch klassische Verkaufstricks an: Zeitlich limitierte Angebote für Kurse („Nur heute 50% Rabatt – greif zu, sonst verpasst du deine Chance!“) oder exklusiv klingende Insider-Communities, was durch künstliche Verknappung den Druck erhöht. All das zielt darauf, die Hemmschwelle der Nutzer zu senken, bis sie die vorgeschlagenen Schritte (Kurse kaufen, Job kündigen etc.) tatsächlich umsetzen.
Die Folgen dieser Bubble können gravierend sein. Viele junge Leute investieren Geld in teure Coaching-Programme oder Geschäftsideen, die ihnen via TikTok schmackhaft gemacht wurden – und erleben herbe Verluste. So berichtete VICE über einen Trend, Wohnungen anzumieten und auf Airbnb weiterzuvermieten (“rent-to-rent”) – angepriesen als leicht verdientes Geld. TikTok-Influencer verpackten dieses riskante Geschäftsmodell in die üblichen Erfolgsfloskeln und verkauften dazu Kurse, in denen sie gegen Gebühr die „Geheimnisse ihres Erfolgs“ verraten wollten. In Wirklichkeit lauern rechtliche und finanzielle Risiken, über die diese Gurus schweigen. Eine BBC-Investigation enthüllte gar, dass ein britischer Kursanbieter mit aggressiven Verkaufsmethoden (stundenlange Events, künstlicher Druck) mehrere Kunden in den Ruin trieb – ein Kriegsveteran nahm dafür einen Kredit auf und beging nach Misserfolgen sogar Suizid. Dieses tragische Beispiel zeigt, wie verheerend der Einfluss solcher Versprechen sein kann. Auch abseits extremer Fälle führt die Hustle-Bubble oft zu finanziellen Verlusten (Fehlinvestitionen in fragwürdige Start-ups, Krypto-Scams oder Schneeballsysteme) und sozialer Entfremdung. Menschen, die dieser Ideologie verfallen, betrachten Freunde und Familie, die einem „normalen“ Leben nachgehen, plötzlich als „toxisch“ oder bremsend – was zu Konflikten und zerbrechenden Freundschaften führt. In Online-Foren beklagen Nutzer bereits, sie hätten Freunde an diese Hustle-Ideologie „verloren“, weil jeder Austausch nur noch aus Geschäftsideen und Abwertungen von „9-to-5-Leben“ besteht. Die antrainierte Winners-vs-Losers-Sicht spaltet also auch im persönlichen Umfeld. Einige Betroffene berichten zudem von Burnout und Entfremdung, nachdem sie eine Weile dem 24/7-Grind folgten – das Leben wird zum Arbeitsmarathon, echte Zufriedenheit bleibt aus. Kurz: Die Unternehmertum-Bubble verspricht viel und verlangt totale Hingabe, doch im Ernstfall zahlen Nutzer mit Geld, Gesundheit und Beziehungen.
Esoterische Inhalte erleben auf TikTok einen enormen Boom. Unter Hashtags wie #Manifestation, #Tarot oder #SpiritualTikTok sammeln sich Milliarden von Views. Das Versprechen: Mit positivem Denken oder spirituellen Praktiken könne jeder sein Traumleben verwirklichen. So hat #manifesting bis Mai 2023 insgesamt 34,6 Milliarden Aufrufe erreicht, und #tarot lag schon 2021 bei über 6 Milliarden Views– ein Hinweis, wie massentauglich diese Themen geworden sind. Kartenlegerinnen und Manifestations-Coaches erzielen Reichweiten in Millionenhöhe, weil sie den Nerv der Zeit treffen: In unsicheren Zeiten (Pandemie, Krisen) suchen viele nach Orientierung, Hoffnung und einfachen Erklärungen. Eine Tarot-Legung oder ein Manifestations-Tipp auf TikTok ist niederschwellig und unterhaltsam – oft nur 60 Sekunden kurz – und vermittelt dennoch das Gefühl, Zugang zu etwas Höherem oder Geheimwissen zu bekommen. Typische Tarot-Videos beginnen etwa mit: „Hey Bestie, dein Seelenverwandter kehrt zu dir zurück – like, follow und share, um es zu claimen!“. Solche Hooks sprechen Neugier und Sehnsüchte an und fordern zugleich Interaktion („Teile dieses Video, um den Segen anzunehmen“). Dieser Trick sorgt dafür, dass die Videos viral gehen – algorithmisches Feedback: Viele Likes, Shares und Watch-Time signalisieren TikTok, den Clip weiter auszuspielen. Hinzu kommt, dass solche Inhalte für Zuschauer verlockend sind, weil sie einfache Lösungen bieten (etwa die Vorstellung, man könne durch ein Ritual oder eine Affirmation Liebe, Gesundheit, Erfolg anziehen). Gerade jungen Nutzern erscheint das attraktiver als komplizierte oder harte Wege. Auch prominente Vorbilder tragen zur Attraktivität bei: Weltstars wie Oprah Winfrey oder Kim Kardashian preisen öffentlich die Kraft der Manifestation. Wenn solche Idole daran glauben, wirkt es legitim. Insgesamt entsteht ein Sog aus Neugier, Hoffnung und dem Reiz des Mysteriösen – perfekt zugeschnitten auf kurze, emotionale Videohäppchen.
Die Popularität dieser Esoterik-Trends lässt sich psychologisch erklären. Ein zentraler Faktor ist der Barnum-Effekt: Die Aussagen beim Kartenlegen oder in allgemeinen Manifestations-Posts sind oft so vage positiv, dass sich fast jeder darin wiederfinden kann („Du hast schwierige Zeiten durchgemacht und Großes steht dir bevor“* – das trifft auf viele zu). Weil es passend klingt, fühlen sich Nutzer persönlich angesprochen und glauben an die Treffsicherheit des Contents. Das führt zu Confirmation Bias: Wer einmal an Tarot/Manifestation glaubt, achtet verstärkt auf „Beweise“, die das bestätigen (z.B. ein kleines Erfolgserlebnis nach einer Affirmation) und ignoriert gegenteilige Hinweise. Der TikTok-Algorithmus verstärkt dieses Phänomen, indem er immer mehr ähnliche Videos liefert – man landet in einer Echo-Kammer der Spiritualität, wo alle Clips die gleiche Botschaft wiederholen. Das Dauerfeuer an Suggestion (“Glaub nur fest genug, dann wirst du belohnt”) kann die Wahrnehmung der Realität verzerren. Studien zeigen, dass exzessiver Optimismus durch Manifestation zu falscher Selbstwahrnehmung führt: Anhänger halten sich für erfolgreicher als sie objektiv sind und stecken sich unrealistisch hohe Ziele. Enttäuschungen sind so vorprogrammiert – schlimmstenfalls endet der extreme Optimismus im persönlichen Ruin. Ein weiterer Mechanismus ist die Illusion der Kontrolle: Das Gefühl, durch Rituale oder Gedanken das Schicksal zu steuern, vermittelt Sicherheit in einer chaotischen Welt. Diese Illusion hält viele gefangen, selbst wenn die Erfolge ausbleiben. Zudem nutzen Coaches soziale Verstärkung: angebliche Erfolgsgeschichten anderer (Kommentare wie „Bei mir hat’s geklappt!“) geben neuen Anhängern das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die etwas Großes entdeckt hat. Und ähnlich wie bei der Hustle-Bubble sind auch hier professionelle Verkaufsstrategien am Werk. Verbraucherschützer berichten, dass Manifestations-Coaches oft Verkaufsprofis sind, die genau wissen, wie sie verletzliche Personen ansprechen müssen, um ihnen teure Angebote zu verkaufen – das gehe in eine „Grauzone“ der gezielten Manipulation. Einige Videos und Lives setzen auf Druck und Exklusivität („Nur heute energetisiere ich dein Wunschritual, buche jetzt!“), was impulsives Handeln fördert. Kurz: Die Mischung aus vermeintlicher persönlicher Relevanz, ständiger Wiederholung positiver Botschaften und geschickt eingesetztem Gruppengefühl macht diese Inhalte psychologisch wirkungsvoll.
Obwohl Manifestieren & Co. harmlos erscheinen mögen, warnen Expertinnen vor erheblichen Gefahren. Journalistische Recherchen decken auf, dass hinter dem Hype ein lukrativer Markt steckt, in dem verzweifelten Menschen teure Kurse und Coachings verkauft werden. Die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz meldet einen starken Anstieg von Beschwerden über Manifestations-Coaches, die mit Trendbegriffen locken. Viele Klienten fühlen sich getäuscht, weil die versprochenen Wunder ausbleiben – zurück bleiben oft Schulden und Frust. So berichtete eine Betroffene, sie habe 60.000 € für ein neunmonatiges Manifestations-Mentoring gezahlt – ohne Erfolg, aber mit einem Berg Schulden. Finanzielle Ruinen sind ein Extrem, doch gerade junge Frauen geben teils erhebliche Summen für Kartenlegungen, Kristalle oder „Energiekurse“ aus, was sich schnell summiert. Neben dem Geldverlust drohen psychische Schäden. Psychologinnen betonen, dass Manifestationsgläubige Gefahr laufen, sich selbst die Schuld an allem zu geben: Wer ernsthaft glaubt, Krankheit oder Misserfolg kämen von „zu negativen Gedanken“, entwickelt eine toxische Selbstvorwürfe-Spirale. Der australische Forscher Lucas Dixon spricht von „katastrophalen Folgen“, wenn Menschen meinen, sie hätten z.B. ihren Krebs selbst verursacht, weil sie nicht positiv genug dachten. Die ständige Verdrängung negativer Gefühle führt laut Psychologie-Professorin Gabriele Oettingen zu erlernter Hilflosigkeit: Betroffene fühlen sich irgendwann defekt, wenn bei „allen anderen“ das Manifestieren klappt, nur bei ihnen nicht – das zermürbt das Selbstwertgefühl und kann in Depressionen münden. Auch Angstzustände sind dokumentiert: Ein TikTok-Kommentar im Vermont Cynic beschreibt, dass ständige Tarot-Videos den Nutzer eher ängstlich machten – die Prognosen („bald kommt etwas Schlimmes“) lösten statt Freude vor allem Sorge aus. Das Phänomen “Lucky Girl Syndrome” – der Glaube, man sei immer vom Glück begünstigt – wurde von Medien als toxische Positivität kritisiert, die Realitätsverleugnung fördert. Darüber hinaus können unqualifizierte Gurus in ihren Sessions tiefe emotionale Wunden aufreißen: Eine Insiderin berichtete, in einem Coaching von Deutschlands bekanntester Manifestations-Influencerin sei durch erzwungene Selbstoffenbarung und ständige Beschwörung positiver Gedanken eine „Teufelsspirale“ aus Angst vor negativen Gefühlen entstanden. Esoterik-Bubbles locken zwar mit Hoffnung, doch für viele endet die Reise in Enttäuschung, Verschuldung oder psychischer Überlastung – entsprechend mehren sich warnende Stimmen von Verbraucherschützern und Wissenschaftlern.
TikToks For You–Algorithmus ist berüchtigt dafür, Nutzer in immer tiefere inhaltliche Nischen zu führen. Bereits nach wenigen Minuten Interaktion erkennt TikTok, welche Themen jemanden fesseln, und beginnt, immer extremere oder spezifischere Videos dazu vorzuschlagen. Eine Untersuchung des Wall Street Journal mit Hunderten Bot-Accounts zeigte, dass das System Jugendliche in kürzester Zeit in Rabbit Holes ziehen kann – endlose Spiralen aus zusammenhängenden Inhalten. Ein Bot, der sich nur leicht für traurige Inhalte interessierte, bekam bald fast ausschließlich Videos über Depression und Selbstverletzung zu sehen. Ähnlich dürfte es bei Unternehmertum oder Esoterik funktionieren: Je mehr man dranbleibt, desto einseitiger und radikaler wird der Feed. TikTok selbst optimiert laut geleakten internen Dokus knallhart auf Nutzungszeit und Bindung – das „ultimative Ziel“ ist, uns möglichst lange und häufig in der App zu halten. Dazu exploitieren die Entwickler bewusst menschliche Schwächen wie Langeweile und Neugier. Der Algorithmus bewertet insbesondere, wie lange wir ein Video anschauen; zögern wir nur kurz, gilt das als Interesse und es folgt mehr vom Gleichen. Dieses System belohnt kontroverse und reißerische Inhalte überproportional: Alles, was extreme Emotionen weckt – sei es Empörung, Angst oder ekstatische Begeisterung – fesselt die Aufmerksamkeit und führt zu höherer Watch-Time sowie Interaktion. Daher neigt der Feed dazu, uns provokative Thesen, schockierende Behauptungen oder sensationsheischende Trends zu präsentieren, selbst wenn sie verzerrt oder manipulativ sind. TikTok will keine ausgewogene Information bieten, sondern maßgeschneidertes Entertainment, was eine Filterblase schafft. Diese algorithmische Bubble isoliert Nutzer von abweichenden Perspektiven. Bestätigt wird vor allem, was bereits gefällt – ein gefährlicher Resonanzraum für Confirmation Bias. So wiederholt der Feed die bestehenden Überzeugungen des Users „immer und immer wieder“ und zementiert sie schließlich. Studien sprechen hier von einem Echokammer-Effekt, der die gesellschaftliche Polarisierung verstärken kann. Darüber hinaus weisen Experten darauf hin, dass TikToks Fokussierung auf Kurzvideos das kritische Denken schwächt: Durch das schnelle, ständige Swipen gewöhnt sich das Gehirn an oberflächliche Reize und verliert die Fähigkeit, Informationen analytisch zu verarbeiten. Ein Experiment fand heraus, dass intensive TikTok-Nutzung die analytische Denkfähigkeit junger Erwachsener messbar vermindert – Nutzer verlassen sich eher auf impulsive Intuition statt gründliche Überlegung. Wenn aber weniger hinterfragt wird, haben manipulative Inhalte ein leichtes Spiel. Das Zusammenspiel aus einem alles steuernden Algorithmus und der menschlichen Neigung zur kognitiven Bequemlichkeit führt dazu, dass TikTok kontroverse wie manipulative Clips gezielt pusht, weil diese unsere Aufmerksamkeit maximal binden. TikTok bestreitet zwar eine Absicht, schädliche Inhalte zu fördern, doch selbst das Unternehmen musste einräumen, dass sein System junge Nutzer in problematische Gefilde lenken kann. Unterm Strich entsteht eine perfekte Manipulations-Maschine: Der Algorithmus identifiziert unsere Schwächen und Vorlieben und füttert uns damit unaufhörlich – ob uns das guttut oder nicht, spielt für die Logik der Software keine Rolle, solange die Engagement-Zahlen stimmen.
Neben der Algorithmik kommen auf TikTok diverse klassische Manipulationstechniken zum Einsatz – teils vom System selbst, teils von den Content-Ersteller*innen bewusst eingesetzt. Ein wichtiges Prinzip ist die bereits erwähnte Wiederholung: Wer den gleichen Slogan oder dasselbe Sound-Bite x-fach hört, empfindet es irgendwann als wahr oder zumindest normal. Dieses Phänomen, als Illusory Truth Effect bekannt, macht sich z.B. politische Propaganda seit jeher zunutze – auf TikTok geschieht es quasi automatisch, wenn der Algorithmus eine bestimmte Botschaft für „dein Ding“ hält. So kann jemand, der anfänglich nur neugierig auf einen Manifestations-Clip klickt, nach Wochen in der Bubble überzeugt sein, Gedanken allein formen die Realität – einfach weil es ihm hundertmal gesagt wurde. Soziale Bewährtheit (Social Proof) greift ebenfalls stark: Menschen orientieren sich daran, was andere gut finden. Ein Video mit Millionen Views oder ein Trend-Hashtag signalisiert, dass hier etwas Wichtiges oder Richtiges passiert. Dadurch traut man dem Gesehenen eher und schließt sich der Masse an – ein Schneeballeffekt, den virale TikTok-Challenges oder Trend-Meinungen immer wieder zeigen. Manipulative Akteure pushen diesen Effekt gezielt, etwa indem sie Likes/Follower künstlich in die Höhe treiben oder Bots einsetzen, um Popularität vorzutäuschen. Autoritäts- und Expertenheuristik ist ein weiterer Faktor: Auf TikTok gibt es unzählige „Experten“ (selbsternannte Finanzgurus, Lifecoaches, Astrologen usw.). Viele Nutzer neigen dazu, Informationen aus dem Mund solcher scheinbaren Fachleute unkritisch zu glauben – insbesondere wenn diese mit Fachbegriffen um sich werfen oder Zeugnisse vorzeigen. Ein Manifestationscoach, der von „Quantenphysik des Geistes“ spricht, verleiht seinem Hokuspokus einen pseudo-wissenschaftlichen Anstrich, der Laien imponiert. Emotionale Beeinflussung ist allgegenwärtig: TikToks erfolgreichste Videos triggern Gefühle – sei es Angst, Wut, Freude oder Sehnsucht. Manipulative Inhalte missbrauchen das, um rationale Urteilsfindung auszuschalten. Empörungs-Videos beispielsweise setzen auf unsere Wut oder unser Mitgefühl, damit wir sofort teilen oder kommentieren, ohne Fakten zu prüfen (Stichwort: Empörungs-Algorithmus). Genauso locken Utopie-Videos (sei es finanziell oder spirituell) mit Dopamin-Kicks der positiven Vorstellung, was unsere Vorsicht senkt. Zudem herrscht auf TikTok ein Klima der sozialen Vergleichbarkeit: Man sieht ständig die Highlights anderer Leben, was Druck erzeugt, selbst dazuzugehören. Dieser soziale Druck kann ausgenutzt werden – z.B. indem ein Hustle-Influencer sagt: „Tausende verdienen bereits online, willst du zurückbleiben?“ Hier wirken Fear of Missing Out (FOMO) und Herdentrieb zusammen. Schließlich verstärkt Confirmation Bias die Manipulation nachhaltig: TikTok liefert bevorzugt Inhalte, die zur Meinung oder Stimmung des Users passen. Das heißt, wer anfängt an Verschwörungen zu glauben oder an Wunderheilungen, bekommt fast nur noch Bestätigung dafür in seinem Feed und fühlt sich kontinuierlich in seiner Weltsicht bestärkt. Widersprechende Informationen schaffen es kaum durch die Bubble. Wissenschaftler sprechen davon, dass algorithmische Filterblasen gezielt unsere vorhandenen Neigungen bedienen und verstärken – die Nutzer sehen, was sie sehen wollen, ob bewusst oder unbewusst. Das Perfide ist: Vielen ist gar nicht klar, dass sie manipuliert werden. Die Videos erscheinen ja individuell „für dich“ ausgesucht und oft authentisch, als spräche ein Freund zu einem. Dieses parasoziale Vertrauen macht es schwer, Manipulation zu erkennen. So wird TikTok zum Tummelplatz für altbewährte Überzeugungstricks in neuem, hypermodernem Gewand.
Obwohl TikTok ein recht junges Phänomen ist, gibt es bereits erste Studien, die die beschriebenen Effekte untermauern. Eine groß angelegte Datenanalyse ergab, dass TikToks Algorithmus Jugendliche in kurzer Zeit in extreme Inhalte treiben kann – die Rede ist davon, dass Videos über Essstörungen, Gewalt oder Drogenkonsum unvermittelt im Feed junger Nutzer landen und diese kaum mehr loslassen. In diesem Zusammenhang sprechen Gesetzgeber in den USA offen davon, dass Social-Media-Algorithmen Nutzer regelrecht manipulieren, um sie möglichst lange zu binden. Interne Dokumente von TikTok, die im Zuge von Gerichtsverfahren veröffentlicht wurden, bestätigen ebenfalls problematische Auswirkungen: Das eigene Forschungsteam von TikTok fand heraus, dass „zwanghafte Nutzung mit einer Reihe negativer mentaler Gesundheitseffekte korreliert, etwa dem Verlust analytischer Fähigkeiten, Gedächtnisproblemen und Schwierigkeiten, Dinge im Kontext zu sehen“. Mit anderen Worten: der pausenlose Kurzvideo-Konsum reduziert bestimmte kognitive Funktionen. Eine experimentelle Studie aus China (2024) lieferte ähnliche Befunde – Teilnehmer, die viel auf TikTok swipten, schnitten in Tests für analytisches Denken deutlich schlechter ab als vorher. Das Scrollen durch die schnellen Clips förderte ein reflexartiges „schnelles“ Denken statt gründlicher Analyse, was die Urteilsfähigkeit beeinträchtigt. Ein weiteres Forschungsfeld ist die Suchtgefahr: Ein Psychologenteam um Troy Smith ermittelte, dass rund 31,8 % der TikTok-Nutzer Anzeichen problematischer Nutzung zeigen – teils mit Symptomen wie Angst, Nervosität oder Gereiztheit, vergleichbar mit klassischen Entzugserscheinungen. TikTok ist also durchaus in der Lage, abhängiges Verhalten zu erzeugen, was die Nutzer noch empfänglicher für manipulative Botschaften macht, da kritische Distanz fehlt. Zudem haben Soziologen beobachtet, dass das Fehlen sozialer Interaktion (TikTok dient primär der Unterhaltung, weniger dem Austausch) die Bildung von extremen Subkulturen begünstigt. Da man sich nicht mit Freunden zu Inhalten auseinandersetzt, sondern allein vom Algorithmus bespielt wird, fehlt ein Korrektiv. Summa summarum zeichnen wissenschaftliche Arbeiten ein alarmierendes Bild: TikToks Mechanismen können Glaubenssysteme und Verhaltensweisen formen, ohne dass die Betroffenen es merken, und dies hat messbare Auswirkungen auf Denken, Psyche und soziale Orientierung. Die Forschung steckt zwar noch in den Anfängen, doch erste Ergebnisse stützen die zahlreichen anecdotalen Berichte über TikToks manipulative Macht.
Die beschriebenen Bubbles bleiben nicht ohne Effekt auf Freundschaften und Familie. Wenn Jugendliche oder junge Erwachsene tief in einer TikTok-Ideologie versinken, kann das zwischenmenschliche Gräben aufreißen. Im Falle der Unternehmertum-Bubble berichten Eltern und Freunde, dass ehemals enge Kontakte nur noch über „das Business“ reden und keinerlei Verständnis mehr für andere Lebensentwürfe zeigen. Jemand, der überzeugt ist, jedermann außer Selbständigen sei ein Verlierer, wird kaum noch Respekt für Freunde haben, die z.B. einer normalen Ausbildung nachgehen – Konflikte sind programmiert. Viele in der Hustle-Szene propagieren sogar offen, man solle sich von „negativen Menschen“ trennen – damit sind oft diejenigen gemeint, die das extreme Karrierestreben nicht teilen. So isolieren sich manche Betroffene bewusst von ihrem bisherigen Umfeld, was zu Einsamkeit oder der Neuorientierung in fragwürdige Online-Communities führt. Ähnlich in der Esoterik-Bubble: Plötzlich glaubt die Teenager-Tochter mehr den Kartenlegern auf TikTok als den Ratschlägen der Eltern. Wer jede Kritik als „negative Energie“ abtut, kapselt sich ab. Im schlimmsten Fall geraten Anhänger solcher Bubbles in einen Sog sektenähnlicher Strukturen, wo nur noch Gleichgesinnte zählen. Familien werden entfremdet, wenn z.B. ein Mitglied strikt nach TikTok-Coaches lebt und alle anderen als unwissend belächelt. Gerade wenn finanzielle Forderungen ins Spiel kommen (Kurse, Spenden an Gurus), können sich Angehörige betrogen fühlen. Diese Bubbles erzeugen also soziale Spannungen: Freundschaften zerbrechen, weil Wertvorstellungen kollidieren, und Jugendliche wenden sich von ihren Eltern ab, da diese „es nicht verstehen“. Im Internet mehren sich Geschichten darüber – von Freunden, die sich aufgrund eines Manifestations-Wahnvorstellung zerstritten haben, bis zu Partnerschaften, die an extremen Hustle-Vorstellungen scheiterten. Besonders tragisch ist, dass Betroffene oft erst nach dem Absturz realisieren, was (und wen) sie durch die einseitige Obsession verloren haben.
Für die junge Generation, die mit TikTok aufwächst, können diese Trends handfeste Folgen haben. Beruflich/finanziell besteht das Risiko, Fehlentscheidungen zu treffen: Manche Teenager lassen sich z.B. dazu verleiten, die Schule oder Ausbildung abzubrechen, um „sofort Unternehmer zu werden“ – motiviert durch TikTok-Vorbilder, die das Schulsystem als Zeitverschwendung darstellen. Ohne Plan und Erfahrung scheitern solche Vorhaben jedoch häufig, was die Betroffenen mit kaputten Lebensläufen dastehen lässt. Andere pumpen Ersparnisse in Krypto- oder Aktienprojekte, folgen blind Tipps aus Finanz-TikTok und stehen nach Crashs mit nichts da. Psychisch können diese Bubbles Druck und Stress enorm erhöhen. Hustle Culture auf TikTok vermittelt vielen das Gefühl, ständig unproduktiv zu sein – ein Nährboden für Selbstwertprobleme und chronische Unzufriedenheit. In der Esoterik-Bubble droht umgekehrt eine Flucht aus der Realität: Man vernachlässigt aktive Problemlösung, vertraut nur noch aufs Universum – bis man in passiver Hoffnungslosigkeit landet, wenn Wunder ausbleiben. Berichte über Depressionen und Angststörungen infolge solcher TikTok-Trends sind keine Seltenheit. Zudem wird die allgemeine Medienkompetenz junger Nutzer auf die Probe gestellt: Wer früh lernt, dass schnelle Clips „die Wahrheit“ liefern, könnte langfristig Schwierigkeiten haben, seriöse von unseriösen Informationen zu unterscheiden. Gerade im Kontext von Desinformation (etwa Verschwörungsideologien, die oft über Esoterik-Schienen einschleichen) kann TikTok so zur Radikalisierung beitragen. Nicht zuletzt gibt es physische Konsequenzen: Dauerhaft hoher Stress durch Hustle-Pressure kann die Gesundheit schädigen (Schlafmangel, Burnout-Symptome), während Esoterik-Trends gelegentlich riskante Handlungen fördern (z.B. Verzicht auf Medizin zugunsten „Manifestation“ – etwa wenn jemand glaubt, nur positives Denken heile die Krankheit). In Summe beeinflussen diese Bubbles die Lebenswege junger Menschen beträchtlich – Studien legen nahe, dass Social-Media-Trends sogar Entscheidungen wie Jobwechsel, Konsumverhalten oder politische Einstellungen steuern können. Wir sehen also eine Generation, deren Werte und Entscheidungen in Teilen durch TikTok-Trends mitgeprägt werden – mit teils negativen Outcomes, wenn jene Trends auf unrealistischen oder manipulativen Ideologien basieren.
Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, ob hinter den Kulissen gezielte Interessen solche Bubbles fördern. Zunächst gibt es klare wirtschaftliche Profiteure: Influencer und Coaches verdienen prächtig an der Verbreitung dieser Inhalte. Jeder virale Hustle-Clip lockt potenzielle Kunden für teure Onlinekurse oder Mitgliedschaften an; Tarot-Leger und Manifestations-Coaches monetarisieren ihre Millionenreichweite durch Spendenstreams, Beratungsangebote oder den Verkauf von Büchern und Merch. Es liegt also im ureigenen Interesse dieser Creator, die Bubble am Laufen zu halten – sie produzieren stetig Nachschub an motivierenden bzw. spirituellen Videos, oft ohne Rücksicht auf Wahrheitsgehalt oder Schäden, solange die Kasse klingelt. Ähnlich profitieren Branchen wie die Verlags- und Seminarindustrie (Ratgeberbücher, Motivations-Events boomen im Fahrwasser der TikTok-Trends) und sogar fragwürdige Geschäftsmodelle wie Krypto-Scams oder Multi-Level-Marketing, die geschickt via Hustle-TikToks Kunden rekrutieren. TikTok selbst hat ebenfalls ökonomische Motive: Kontroverse Nischen und extreme Inhalte binden Nutzer enorm – das erhöht Werbeeinnahmen. Whistleblower-Dokumente belegen, dass TikToks Betreiberfirma ByteDance primär auf Retention und Time Spent optimiert. Solange polarisierende Videos die Leute nicht massenhaft abwandern lassen, hat das Unternehmen wenig Anreiz, sie strikt einzudämmen. Im Gegenteil, intern wurde TikTok als so süchtig machend bezeichnet, dass man von “Sucht” im Dienste der Unternehmensziele spricht. Diese Ausrichtung begünstigt algorithmisch genau jene Bubbles, die für Aufregung sorgen. Politisch gibt es Spekulationen, TikTok (als chinesisches Unternehmen) könnte indirekt ein Interesse daran haben, westliche Jugendliche mit belanglosem oder destruktivem Content zu überziehen, während in China die Schwester-App Douyin streng reguliert ist. Tatsächlich unterscheiden sich die Plattformen: In China gibt es eine Jugendbegrenzung (max. 40 Minuten/Tag) und es werden in Jugendmodus verstärkt Bildungs- und Wissenschaftsvideos gezeigt. In der westlichen TikTok-Version fehlen solche Beschränkungen, was Experten wie Jonathan Haidt zu der provokanten Aussage verleitet: „TikTok schadet der westlichen Jugend schwer, während die chinesische Version viel pro-sozialer ist“. Er zieht gar den Vergleich, es sei, als hätte man im Kalten Krieg dem Gegner die eigenen Medien überlassen. Das deutet zumindest an, dass geopolitische Interessen eine Rolle spielen könnten – auch wenn es dafür keinen offenen Beweis gibt, außer dass China seine eigene Jugend schützt und unsere der freien Marktlogik überlässt. Darüber hinaus passen manche Bubbles gut in bestehende ideologische Strömungen: Die Hustle-Culture etwa fügt sich nahtlos in einen neoliberalen Zeitgeist, in dem Selbstoptimierung und privater Geschäftssinn als Allheilmittel propagiert werden. Man könnte sagen, sie lenkt von strukturellen Problemen ab und drängt die Verantwortung allein dem Individuum auf („Wenn du arm bist, hustlest du nicht hart genug“). Diese Erzählung nützt implizit denen, die vom Status quo profitieren – Arbeitgeber, die überengagierte Arbeitnehmer billig bekommen, oder generell Eliten, die Ungleichheit aufrechterhalten wollen. Ähnlich kann exzessive Esoterik Menschen entpolitisieren: Wer glaubt, durch Gedanken die Welt zu ändern, geht seltener auf die Straße, um real Veränderungen zu fordern. Zwar ist dies kein bewusster Plan einer bestimmten Gruppe, doch systemische Effekte sind erkennbar. Nicht zuletzt kommt hinzu, dass Social-Media-Plattformen oft vom Engagement durch extreme Communities profitieren und daher lobbyistisch gegen allzu strenge Regulierungen argumentieren. Summa summarum: Die Bubbles auf TikTok entstehen zwar primär aus algorithmischen Mechanismen und Nutzerinteressen, doch dahinter stehen handfeste wirtschaftliche Gewinne für Creator und Unternehmen. Und es gibt Indizien, dass Unterschiede in der Regulierung (z.B. zwischen TikTok und Douyin) auch politisch motiviert sein könnten. Es ist daher umso wichtiger, diese Dynamiken kritisch zu durchleuchten und nach Verantwortung zu fragen – bei den Plattformbetreibern, den Content-Produzenten und nicht zuletzt uns Nutzern selbst.
!